von Cornelia Kutter
Zwei Tage im brasilianischen Dschungel
Es wird schon dämmerig, als wir nach dreieinhalb Stunden Bootsfahrt von Manaus aus bei unserer Unterkunft ankommen. Es ist nicht die 5-Sterne- Lodge am Rande des Regenwaldes, denn wir wollen das echte Dschungel-Feeling mittendrin erleben.
Die Lodge:
Nach der Besichtigung der mir zugewiesenen kleinen Hütte in einiger Entfernung zum Haupthaus bricht in mir Panik aus. Das strohgedeckte Dach hat offene Luftschlitze, die Beleuchtung – nur für einige Stunden am Tag batteriebetrieben – ist so spärlich, dass man nichts wirklich erkennen kann. Nur der ein oder andere Schatten, der sich an den Wänden bewegt, ist auszumachen. Und an den undichten Fenstern haben sich von innen Tausende Insekten versammelt.
Mein einziger Gedanke ist: Ich muss hier sofort wieder weg und lasse mich am besten aus Manaus mit einem Helikopter abholen.
Da sich das aber nicht so einfach in die Tat umsetzen lässt, habe ich mich zu einer Erkundungstour mit dem Boot überreden lassen.
Regenwald per Boot:
Die Flussläufe im Urwald sind unüberschaubar. Das Boot fährt um viele Biegungen in verschiedene Richtungen; dazu das Dämmerlicht. Schnell verlieren wir alle die Orientierung. Plötzlich raschelt oder zischt es, daneben erschrecken uns kreischende Vogelrufe. Die Geräuschkulisse ist unheimlich.
Im Wasser sehen wir überall die leuchtenden Augen der Kaimane, die genau wie Piranhas in diesen Gewässern leben. Auf einmal geht ein Ruck durch das Boot. Unser Bootsführer springt ins Wasser, um nachzusehen. Irgendetwas Hartes hat die Schiffsschraube lahmgelegt und ein kleines Leck in die Bootswand gerissen. Sofort müssen wir alle das eindringende Wasser mit den Händen nach draußen schaufeln. Wir sind etwa eine Stunde unterwegs. Aber wie weit ist die Lodge entfernt und wo ist das zweite Boot, das auch irgendwo sein muss? Die Minuten werden zur Ewigkeit, bis endlich das andere Boot auftaucht und uns ins Schlepptau nimmt.
Die Nacht:
Wieder in der Lodge, denke ich, schlimmer kann es jetzt auch nicht mehr kommen. Also bleibe ich hier. In der Hütte hat sich der Schwarm Insekten wieder verzogen. Doch habe ich da nicht gerade eine Ratte laufen sehen? Und ist das an der Wand etwa ein Skorpion? Als ich auch noch neben meinem Bett ein zischelndes Geräusch wie von einer Schlange höre, liege ich nur noch stocksteif da und traue mich nicht, mich zu bewegen. Irgendwann bin ich trotz meiner Angst wohl eingeschlafen.
Der nächste Schock kommt in Form eines gewaltigen Regengusses, der durch das undichte Dach direkt auf meinen Bauch prasselt.
Oh Gott, es kann nur besser werden…
Der nächste Morgen:
Vogelgezwitscher und Sonnenlicht begrüßen mich am Morgen. Auf dem Weg zum Frühstück im Haupthaus fliegen bunte Aras zutraulich auf mich zu und setzen sich ganz nahe auf die hölzernen Geländer der Hütten. Sie hoffen, dass ich für sie leckeres Obst dabeihabe. Am Bootsanleger sehe ich nur noch den Befestigungs-Strick von unserem Boot, mit dem es am Abend angebunden wurde. Das Boot selbst ist untergegangen und liegt auf dem Grund des Wassers.
Der Dschungel zum Greifen nah:
Nach dem Frühstück begeben wir uns auf eine Wanderung durch den Urwald. Unser Führer bläut uns ein, uns keinesfalls an Büschen oder Bäumen festzuhalten. Giftige Dornen oder nicht erkannte Tiere können zu einer tödlichen Gefahr werden. Damit wir an einigen Stellen überhaupt weiterkommen, bahnt uns der Führer mit der Machete den Weg. Unter seiner fachkundigen Führung und hervorragenden Beobachtungsgabe erfahren wir ganz viel über die Fauna und Flora. So sehen wir aus nächster Nähe Lianen und riesige Rotholzbäume, deren Wipfel sich im Meer der Baumkronen verlieren. Der süßliche Duft von überreifen Früchten mischt sich mit dem Geruch von feuchten, modrigen Pflanzen. Wir begegnen Kolibris, Tukanen, Faultieren und Schlangen. Einzig von einer Anaconda hat uns der Führer weggeführt und uns nicht aufmerksam gemacht. Denn die größte aller Würgeschlangen ist äußerst aggressiv und greift auch erwachsene Menschen an.
Zurück in die Zivilisation:
Als das Boot kommt, das uns wieder auf dem Rio Negro nach Manaus zurückbringen wird, freuen wir uns alle auf das luxuriöse Hotel, das dort zum Erholen auf uns wartet. Aber ein bisschen Wehmut schwingt bei mir auch mit.
Ich weiß, noch einmal würde ich mich diesen Strapazen nicht aussetzen, aber ich bin froh, mich auf das Abenteuer eingelassen zu haben.
Anmerkung:
Diese Reise habe ich vor 20 Jahren unternommen. Heute genügt die Lodge modernsten Ansprüchen und der gesamte Aufenthalt ist weniger beschwerlich.