Handwerksgesellen auf der Walz

Von Hildegard Neufeld

Als ich zu Beginn des Sommers in meiner Heimatstadt spazieren ging, begegneten mir zwei junge Wanderburschen, beide in dunkler Kleidung mit Schlaghose und einem breitkrempigen Schlapphut. Ein Wanderstab in der Hand und ein Bündel auf dem Rücken wies sie als Wandergesellen aus.

Gründe

Weshalb gehen junge Handwerker auf die Wanderschaft, worin liegt ihre Motivation? Der Ursprung der Walz (die Walz bezeichnet die Zeit der Gesellenwanderung) reicht bis ins späte Mittelalter zurück. Damals war das Wandern nach der Lehre und bestandener Gesellenprüfung noch Voraussetzung für den Erwerb des Meistertitels.

Durch ihre Wanderschaft erhalten die Gesellen zudem die Möglichkeit, andere Länder und Sitten sowie neue Arbeitspraktiken kennenzulernen. Auch eine Jobsuche kann damit verbunden werden. Das zeigte sich besonders, als zu Beginn der 80er Jahre die veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt manchen Handwerksgesellen veranlasste, in die Welt hinaus zu ziehen, um dort die erstrebte berufliche Zukunft zu finden.

War ein Wandergeselle in einer fremden Stadt angekommen und fand hier keine Arbeit, bekam er ein sogenanntes Zehrgeld und reiste weiter. Gesellen gingen als Freireisende oder „schachtgebunden“ (als Angehöriger einer Handwerkervereinigung) auf die Wanderschaft.

Voraussetzungen

Die Teilnahme an der Walz ist an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden. Auf die Wanderschaft darf nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hat sowie ledig, kinderlos und schuldenfrei ist. Zumeist ist ein polizeiliches Führungszeugnis ohne Einträge erforderlich, und der Wandergeselle darf nicht älter als 30 Jahre sein.

Die Gesellen sind zwei oder drei Jahre und einen Tag auf der Wanderschaft und dürfen ihren Heimatort in dieser Zeit – in einem Bannkreis von 50 Kilometer – nicht betreten. Die einzige Ausnahme ist der Todesfall eines Verwandten ersten Grades. Sie dürfen ihre Wanderung allerdings nur einen Tag unterbrechen.

Die Wandergesellen dürfen auch kein eigenes Fahrzeug benutzen und bewegen sich zu Fuß oder per Anhalter fort. Öffentliche Verkehrsmittel sind zwar erlaubt, werden aber verpönt. Die Wanderung darf nur aufgrund zwingender Gründe, beispielsweise einer schweren Krankheit, und im Einvernehmen mit dem zuständigen Schacht, einer Vereinigung von Handwerksgesellen, abgebrochen werden.

Die traditionelle Kleidung

Foto Ralf Hirschberger, by-sa

Während der Wanderschaft müssen die beteiligten Gesellen immer ihre typische Wanderkleidung, ihre Kluft, tragen. Die Farbe der Kleidung ist abhängig vom jeweiligen Beruf. Die Holzberufe tragen beispielsweise schwarz, die Steinberufe weiß und braun. Die traditionelle Wanderkleidung besteht aus einem Schlapphut mit breiter Krempe oder einem Zylinder, der Staude (einem kragenlosen weißen Hemd) und einer Hose mit Schlag. Hinzu kommen eine Weste mit acht Knöpfen, die für das achtstündige Tagewerk stehen, und ein Jackett mit sechs Knöpfen, für die sechs Arbeitstage der Woche.

In der „Ehrbarkeit“, einem Krawatten ähnlichen Stück Stoff, steckt eine goldene Nadel mit dem Handwerkswappen des jeweiligen Berufsstandes.

All sein Hab und Gut, wie Werkzeug, Unterwäsche und Schlafsack, verstaut der Wanderer in einem Bündel, das er auf dem Rücken trägt. Hinzu kommen ein Wanderstab, der Stenz, und ein Wanderbuch, das alle Arbeitseinsätze während seiner Wanderung belegt.

Die Tradition schreibt vor, dass die Wanderkluft erst sechs Wochen nach der Rückkehr der Wandergesellen ausgezogen werden darf.

Frauen auf der Walz?

Bereits seit dem Spätmittelalter sind Handwerkerinnen auf die Walz gegangen. Jahrhunderte lang war ihnen jedoch der Zugang zu den Schächten – den Vereinigungen von Gesellen – verboten, bis sie sich in den 1970er Jahren das Recht auf Wanderschaft (zurück) eroberten.

Die zunehmende Emanzipation der Frauen hatte zudem zur Folge, dass mit dem Wiederaufleben der Wandertradition zunehmend Gesellen beiderlei Geschlechts auf die Wanderschaft gingen. Der Anteil der Frauen wird mit etwa zehn Prozent beziffert.

Die Schächte (Handwerksvereinigungen)

Es gibt eine Reihe von Schächten in Deutschland. Die fünf größten Schächte sind:

1. Die „Rechtschaffenden Fremden“. Sie nehmen nur Männer als Mitglieder auf.

2. Die „Rolandsbrüder“, die nur männliche, schuldenfreie und unverheiratete Zimmerer, Maurer, Tischler, Steinmetze, Dachdecker, Steinsetzer, Betonbauer und Holzbildhauer bis zu ihrem vollendeten 27. Lebensjahr aufnehmen.

3. Der „Fremde Freiheitsschacht“. Dieser Schacht steht für die Pflege des Brauchtums für Bauhandwerksgesellen nach der Lehrzeit.

4. Der „Freie Begegnungsschacht“, 1986 gegründet. Sein besonderes Merkmal: Frauen wie Männer dürfen gemeinsam reisen.

5. Die „Freien Voigtländer“. Hier reisen Zimmerleute, Maurer, Dachdecker, Steinmetze und Bautischler für mindestens zwei Jahre.

In den 80er Jahren wurden zwei neue Schächte gegründet, deren Strukturen stark von den alten Traditionsschächten abweichen. Sie lassen auch Frauen zu.

Die Walz im Wandel

Die Zahl der wandernden Gesellen unterliegt großen Schwankungen und lag Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg im vierstelligen Bereich. Während der Weltkriege und der Zeit des Nationalsozialismus ging die Zahl der Wandergesellen stark zurück. Inzwischen wandern immer weniger Gesellen in unserem Land. Waren es beispielsweise im Jahre 2005 noch ungefähr 600 bis 800 freie oder schachtgebundene Wandergesellen, ging ihre Zahl bis 2010 auf etwa 450 zurück.

Nicht gewandelt haben sich bis heute die traditionellen Rituale und Regeln der Walz. „Jeder Schacht hat seine eigenen Gebräuche und Rituale“, berichtet das Dokumentations- und Wissenschafts-Magazin „Planet Wissen“ und fährt fort: Bei den Rolandsbrüdern wird der ‘Neue’ von einem Altmeister von zu Hause abgeholt und mit einer Zeremonie in die Gesetze und Regeln des Lebens auf der Wanderschaft eingeweiht. Während einer zweimonatigen Aspirantenzeit werden die jungen Gesellen auf Herz und Nieren geprüft und dann auf ihren individuellen Weg geschickt.

Links

In einer Reihe von Veröffentlichungen wird in ausführlichen Beiträgen über die Tradition und Praxis der Walz berichtet, darunter in:

Wanderjahre
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