von Barbara Heinze
Überlegungen zu Wirtschaft, Alter und Gesundheit
Der Beitrag der Süddeutschen Zeitung vom 16.08.2025, von Christina Berndt und Marie Gundlach, trägt den Titel “75 ist das neue 60” und berichtet über den Stand der Wissenschaft zum Thema Rente mit 70.
Schon länger wird in der Politik und in den Medien diskutiert, ob das Renteneintrittsalter erhöht werden soll. Es sind finanzielle Überlegungen zur Entlastung der Rentenkasse, aber auch die Erkenntnis, dass die Senioren heutzutage länger leben: Innerhalb der letzten 50 jahre ist die Lebenserwartung von 65 Jahren um mehr als fünf Jahre gestiegen.
Der Vorschlag von Wirtschaftsministerin Katharina Reiche, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre zu erhöhen, kam deshalb nicht unerwartet. Für Frau Reiche ging es zunächst einmal um die Gefahr des wirtschaftlichen Kollaps der Rentenkasse, weil Senioren immer länger Rente beziehen und gleichzeitig weniger junge Leute einzahlen.
Wie steht es nun eigentlich mit der Gesundheit der Älteren? Was spricht für die Rente mit 70? In wissenschaftlichen Altersstudien konnte bewiesen werden, dass in der Tat die heute Älteren bessere gesundheitliche und geistige Leistungen vorweisen. Eine Berliner Altersstudie zeigte z.B., dass 75jährige von 2013 körperlich fitter und psychisch stabiler sind als Menschen des gleichen Alters von 1990. Eine internationale Studie aus New York bestätigt diese Ergebnisse durch Untersuchungen von 14000 Menschen in China und England: Erinnerungsvermögen und ein fitness score (Balance, Händedruck, Seh-und Hörvermögen) sind bei den in den 1950ern geborenen Personen mit 68 Jahren im Schnitt besser als bei den in den 1940ern Geborenen mit 62 Jahren.
Wenn also die Gesundheit der Älteren offensichtlich so gut ist, wie weit sollte das Eintrittsalter für den Renteneintritt erhöht werden, wenn 75 das neue 60 ist? Der Psychologe Gerstorf weist allerdings daraufhin, dass die positiven gesellschaftlichen und medizinischen Entwicklungen für die jüngeren Senioren nachgewiesen sind, nicht aber für die Hochbetagten 80-90jährigen. Die später Geborenen sind unter Umständen sogar weniger fit, weil sie Krebs und Krankheiten zwar wegen besserer medizinischer Versorgung eher überlebt haben, aber sich möglicherweise in einem schlechterem Allgemeinzustand befinden als die früher Geborenen.
Was ist nun mit den Älteren, für die eine lange andauernde Fitness nicht zutrifft? Stefan Getzmann von der TU Dortmund, weist darauf hin, dass es nicht nur von auftretenden Krankheiten, dem Trainings- und Ernährungzustand abhängt, sondern auch vom Beruf, wenn es z.B. um Steine schleppen, Asphaltabgase, Fließbandarbeit geht. Die Altersforscherin Staudinger schreibt, dass sich der Alterungsprozess aufhalten lässt, durch Erwerbsarbeit, aber wenn man es muss, ist es eher kontraproduktiv. Wenn diese Arbeit Freude macht, es eine Tagesstruktur gibt, soziale Interaktion vorliegt, dann kann es die Menschen fit halten. Gleiches gilt für die Arbeit im Ehrenamt.
Eine Alternative zur Verlängerung des Renteneintritts ist der Vorschlag einer Individualisierung des Renteneintritts, um der Heterogenität und Vielfalt des Alters und Alterns gerecht zu werden. Deshalb sprechen sich die meisten Forscher wie Gerstdorf gegen ein pauschal erhöhtes Renteneintrittsalter aus.
Wie bringt man nun die Rentner dazu, dass sie auch wirklich länger arbeiten wollen? Frau Staudinger schlägt vor: durchaus finanzielle Anreize, mehr Rücksicht am Arbeitsplatz für Ältere, flexible Angebote bezüglich Teilzeit und Art der Arbeit. Sie schreibt, dass es kein Ende des “Arbeitskönnens” gibt und erinnert an die über Hundertjährigen im japanischen Okinawa, die noch im Feld arbeiten oder im Laden stehen.